Reto Leibundgut

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Reto Leibundgut Projekt 11

Titel: Neubau

Wie führt man Licht hinters Licht? Damit ist nicht unbedingt eine Hinterlist gemeint. Um zu zeigen, wie das geht, stellt man sich nur einmal in der Praxis folgenden Vorgang vor: Man zeichnet auf Papier einen transparenten Raum mit sechs Wänden. üblicherweise tun wir das mit 12 Linien. Sie bilden die Schnittstellen zwischen den imaginären Flächen. Beim Zeichnen entstehen dann aber 13 Linien, nicht 12. Da aber niemand mit 13 Kanten einen Kubus berechnen kann, ist diese Ausgangslage meist zu Recht bedeutungslos. Fast! Für Künstler ist es hoch interessant, solche Irritationen aufzuspüren. Sie sind wild auf verzwickte Problemstellungen und klären diese mit ungewöhnlichen Mitteln. Sie betrachten diese Lösungen auch nicht als ungenügend oder weltfremd. Der Unterschied liegt nur darin, dass die Kunst als ein Geschenk verstanden werden will, während andere sich mit ihrer Arbeit aufdrängen. Der Künstler Reto Leibundgut hat sieben Kuben gebaut und unter diese weitere sechs bis sieben Kuben gestellt, was in der Summe 13 Räume ergibt. Auffällig an der Installation ist, dass die jeweiligen Enden sich verjüngen, zueinander verschoben sind, und dass die Räume im Durchschnitt nur 10 Linien aufweisen, da sie solche auch untereinander teilen. Dasselbe setzt sich auch zwischen den Reihen fort, so dass man im Durchschnitt auf eine Gesamtzahl von acht Linien pro Raum kommt. Ein Körper aus acht Kanten ist z. Bsp. eine vierseitige Pyramide – ein Kubus ist daraus nicht zu bauen. Damit bekommt die Skulptur eine Thematik, die auch den Titel «Neubau» in ein anderes Licht stellt. Es geht um etwas rein Gedachtes und um etwas Zusammengebrachtes, wie der Vorgang, dass die Summe von sieben und sechs Räumen mathematisch 13 Räume ergibt, aber dass durch die Verengung der Enden, der Auslassung und den gemeinsamen Kanten durchaus plausibel auch von einem Volumen von 12 - 14 Räumen geredet werden kann. Man sieht sie mit zusammengekniffenen Augen, wenn die in die Höhe gestellte Form an Beweglichkeit gewinnt. Dieser mindere Blick regt unsere Phantasie an und diese braucht wiederum viel Vertrautes und ähnliches aus unserem Erinnerungsarchiv um aktiv werden zu können. Manchmal trifft es den Nagel auf den Kopf, manchmal bleibt man schief stehen, wie gelähmt durch streblose Gedanken und eine wirre Ahnung, dass da noch etwas kommt. »Wenn das Haus schon hängt, dann muss man auch von oben nach unten bauen», lautet ein passender Satz. Er stammt von Fritz Rafeiner (Bau-Planer) aus dem Jahre 1964 und trifft auch bei Reto Leibundgut zu. Der umgekehrt verlaufende Aufbau des Neubaus trägt in sich eine offene Haltung gegenüber dem Experimentieren. Es wuchtet ein Undenkbares hoch mit dem Vertrauen eines Handwerkers auf sein Können und auf die Beschaffenheit des Materials. Die Offenheit der Konstruktion setzt einen Kontrapunkt zur Geschlossenheit der vorangegangenen Form – von der das verwandte Holz stammt. Wie auch immer gebaut wird, es macht die Türen auf. Offenheit ist eine Form der Transparenz, der Klärung und dem Licht. Eine sehr noble Eigenschaft von Kunstwerken ist es einstweilen, ein Licht auf unser Haus zu werfen. Für die NKZ hat Reto Leibundgut aktuell eine Form gefunden, die ein wenig Licht hinters Licht bringt.