Boris Billaud




von Cedric Mineur 2025

Einführung

Die Landschaftsmalerei ist seit dem Hochmittelalter in Europa historisch dokumentiert. Ihre Blütezeit erlebte sie zwischen 1850 und 1920, als sie sowohl in Paris als auch in Berlin die Malerei in die Moderne führte. In den Pariser Salons und Berliner Ausstellungen war ein Richtungsstreit zwischen Romantik und Realismus entbrannt. In dessen Folge bröckelten auch die alten Dogmen des Akademismus, und der Weg wurde frei für eine Rezeption, die den emotionalen Ausdruck, den malerischen Duktus und die kräftigen Farben mitberücksichtigte. Die Maler flüchteten Anfang des 19. Jh. aufs Land (Barbizon), um dem schwarzen Russ der Industrialisierung, den sozialen Spannungen und dem Geschwätz in Paris zu entfliehen, um sich ernsteren Themen (ärmliches Leben der Arbeiter und Bauern) zuzuwenden und die Landschaftsdarstellung von der Mystifizierung zu befreien. Ende des 19. Jh. zog es sie aber wieder zurück in die Stadt, zum Bürgertum, dessen Kultur sie mit der auf dem Land erarbeiteten malerischen Manier auf die Leinwand bannten. Zusammen mit dem Bürgertum etablierten sie die Kunst als von Staat und König unabhängige Kraft, die den Fortschritt und die Bildung unterstützte. Im 20. Jh. wurde dieser Siegeszug der Moderne letztlich paraphrasiert, indem jede malerische Innovation dazu genutzt wurde, idealistische Ideen zu rechtfertigen; der Skandal im Bürgertum war Garant für die künstlerische Qualität. Diese erodierte zunehmend, und der politisch-gesellschaftliche Protest wurde immer wichtiger – gekoppelt nur noch an die Bedingung der Innovation. Die Malerei der Neuen Wilden (frühe 1990er) ist ein Beispiel dafür – sie, die unlängst mit dem Punk in die Keller der Museen verschwand und nur selten gezeigt wird. Vor dem Ersten Weltkrieg verdrängten die neu gestaltete Architektur der Stadt (Boulevard-Bürgerhäuser, Pferderennbahnen, Biergärten – also die soziale Welt der Bourgeoisie) die Landschaftsmalerei zunehmend aus dem Tagesgeschehen. Sie wurde als Kitsch, als reaktionär und altmodisch bezeichnet. Ein kurzes Revival erlebte sie mit dem aufkommenden Tourismus, als sich die Oberschicht in die Berge begab. Albert Anker sowie Alexandre Calame profitierten von dieser Reisetätigkeit.

Heute existiert die Landschaftsmalerei parallel zu anderen Genres und Medien, sie ist aber selten eigenständig, sondern wird zufällig einbezogen. Sie wird häufig genutzt, um Themen wie Umweltzerstörung, Urbanisierung oder die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu reflektieren – ohne jedoch, dass die Darstellung explizit einen künstlerischen Wert aufweist. Das Ende des 20. Jahrhunderts kann man aus heutiger Sicht als „Besserwisser-Schleife“ der Künstler, Kuratoren und Kritiker bezeichnen. Erst waren es die Stile der Intellektuellen wie Minimal Art und Concept Art, die New York als Zentrum der Kunst propagierte, danach die Gegen- und Unterbewegungen, die die Argumente umdrehten und – wie die Neuen Wilden – gegen die Arroganz der Einflussreichen vorgingen. „Vor einem halben Jahrhundert beklagte Tom Wolfe …, dass die moderne Kunst immer abstrakter und entobjektivierter werde und ihre Interpretation von den führenden Kritikern der Ära strenger vorgeschrieben werde. Das Erscheinungsbild des Werks werde der Theorie untergeordnet, die es erklären solle – den Worten auf einer Seite. In den folgenden Jahrzehnten begannen Kritiker, Künstler und Kuratoren gleichermaßen, zeitgenössische Kunstwerke in Bezug zu mehr oder weniger jedem Subgenre der zeitgenössischen Philosophie zu setzen – Dekonstruktion, Poststrukturalismus, spekulativer Realismus, Akzelerationismus, Pataphysik, Psychogeographie. Da sich der Umfang der Kunst heute dramatisch verengt hat, haben sich auch die theoretischen Rahmenbedingungen zu ihrer Interpretation verengt, und Beschreibungen von Werken werden von der Sprache der dekolonialen oder Queer-Theorie dominiert“, schreibt Dean Kissick in Der gemalte Protest. Wie die Politik die zeitgenössische Kunst zerstörte. Nach der Reduktion handwerklicher Kriterien wurde nun auch die inhaltliche Qualität auf ein marktgerechtes Niveau herabgesetzt, die Reduktion der Mittel in den lokalen Kommunen können die schiere Masse an Kunst, die aus den Kunsthochschulen quellen nicht stemmen. Ebenso sind die Förderinstrumente der Kommunen nicht auf die Breite des Kunstschaffens ausgerichtet, so dass sie fast ausschliesslich auf junge Kunst setzen, mit der Argumentation des Wettbewerbes, dem sie statuarisch eigentlich etwas entgegen setzen wollten. Als Letztes haben der globale Markt und die Ausrichtung der bedeutenden Museen auf die grosse Masse der Touristen sowie die massive Reduktion der Feuilletons in den Zeitungen zu einem kritiklosen Umgang mit der Kunst geführt. Analog zum Verhalten eines Konsumenten ist der Massstab des Betrachters der des Kunden, der bedient werden will. Entsprechend zählt sein subjektives Erleben – unabhängig von seiner Expertise und seiner Fähigkeit, eine Ausstellung oder ein Werk kunsthistorisch wie real zu kontextualisieren und dieses mit der Stringenz zwischen Form und Inhalt in einen Zusammenhang zu stellen. Vor diesem Hintergrund steht die Arbeit Dorfchronik. Die Absicht dahinter ist einerseits mit der Universalie Landschaftsgemälde, die technisch-handwerklichen Kriterien sichtbar zu machen, und andererseits, einen Weg mit der Malerei zu finden, die Dinge ohne künstlerische Kompromisse zu gestalten, aber dennoch zu vereinfachen. Kunsthistorisch bedeutet dies auf eine Position Null zu fokussieren, neu anzufangen, Kunst und Qualität neu zu beurteilen, neu zu definieren, letztlich zu demokratisieren.

Universalien sind unabhängig von der kulturellen Herkunft des Betrachters. Es gibt Zeichen, auf die jeder Mensch ähnlich reagiert. Auch auf der Ebene der Sujets von Bildern sind Universalien nichts Besonderes. Dazu gehört bspw. die Darstellung einer Landschaft. Derart Gemaltes hing im 20. Jh. im gutbürgerlichen Salon wie auch in den Bauernstuben. Der Kunstgeschmack hatte also trotz der unterschiedlichen Kultur einen gemeinsamen Nenner. Dieser Nenner droht der Kunst heute zu verloren zu gehen – und umgekehrt verliert die Gesellschaft einen Ort des Diskurses, wo sie aus dem Umgang mit dem Schönen wie dem Fremden etwas Gemeinsames entwickeln kann.

Alexandre Calame (1810-1864), berühmt seine Schweizer Alpenlandschaften
Francois Diday (1802-1877), Lehrer von Calame
Bartholemy Menn (1815-1893),Vermittelte neue Strömungen, beeinflusste spätere Künstler
Charles Giron (1850-1914), Schüler von Menn und Diday. Malte das Gemälde im Nationalratssaal in Bern
Karl Stauffer (1857-1891), studierte in München, unterrichtete u.a. Käthe Kollwitz

Ottilie Wilhelmine Roederstein (1859-1937), Ausbildung Zürich, München und Paris.


J. A. Koch (1768-1839). Kunststil: Romantik, Wasserfälle bei Subiaco, 58 x 68cm


Jean-François Millet. Kunststil: Realismus, "Die Ährenleserinnen" (1857),110 x 84


Karl Stauffer_Bern, Waldteich mit Enten und Seerosen, ca. 1888, 102 x 73.5


Adolphe Monticelli, 1882, Meereslandschaft bei Marseille,


Paul Cecanne, um 1892-95, Landschaft bei Mont Sainte-Victoire


Ottilie Wilhelmine Roederstein, Bergsee, 1905, 18x28


Per Kirkeby, Fram Herbst, 2005